Inseln des Wegweisenden
Der Journalist Caspar Dohmen erkundet gelingende sozialökologische Transformationen im Kleinen
Seit einigen Jahren gehört die Rede von der sozial-ökologischen Transformation zum Standard halbwegs aufgeklärter politischer Publizistik – und das durchaus bis ins konservative Milieu hinein. Trotzdem scheint dort und, es bedarf kaum noch der Erwähnung, am sich immer weiter in die Mitte fressenden rechten Rand der Gedanke eines gleichermaßen sozialen wie ökologischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft in schöner Regelmäßigkeit zu Schnappatmung zu führen. Nicht etwa deshalb, weil die Aufgabe sich von den fossilen Pfadabhängigkeiten der Moderne zu verabschieden, eine tatsächlich gigantische Aufgabe wäre, vor allem dann, wenn sie sozial fair gelöst werden soll, sondern in erster Linie, weil hinter dem Begriff der Transition das alte Gespenst der Revolution zu lauern scheint. Umverteilung, Privilegienverluste, vielleicht sogar ein Tempolimit auf der Autobahn – nicht auszudenken. Nun ist es aber so, dass es wahrlich genug Gründe für ein Umsteuern gäbe. Erschöpfte Ressourcen, wahlweise überdüngte oder erschöpfte Böden, schwindende Süßwasserreserven, schmelzende Gletscher, Naturkatastrophen aller Couleur, die durch den Klimawandel immer öfter auftreten, ein verheerender Biodiversitätsverlust. Anders formuliert: ein zu gewaltiger, nicht mehr regenerierbarer Verbrauch an Welt, die ja doch, trotz aller anders lautender interstellarer Fluchtfantasien milliardenschwerer Tech-Gurus wohl auch weiterhin unsere einzige Heimat ist.
An entsprechender Dringlichkeitsrhetorik mangelt es indessen nicht, an gleichermaßen praktikablen Lösungen hingegen schon, vor allem dann, wenn diese nicht nur wirkungsvoll, sondern auch demokratisch legitimiert und sozial ausgewogen sein sollen. In vielen Bereichen der Wirtschaft und – bedauerlich genug – in der Politik herrscht weiterhin die alte Logik des Konterbiers (more of the same) vor. Und abseits davon? Wie steht es um die Konturen einer regenerativen Ökonomie, die nicht permanent ihre eigenen Grundlagen auffrisst und die erwirtschafteten Gewinne auch noch haarsträubend ungleich verteilt?
Es gibt diese Form des Wirtschaftens längst – aber eher in Formen von „Inseln des Wegweisenden“ in einem „Ozean des Rückwärtsgewandten“, wie der Journalist Caspar Dohmen in seinem neuen Buch schreibt. Dass es im falschen Leben kein richtiges gäbe, ist eine altlinke Grundüberzeugung, und wem jede Reform nur eine weitere Verhinderung der Revolution ist, dem wird „Grün geht nur gerecht“ wahrscheinlich wenig abgewinnen können. Wer sich hingegen für gangbare und mitunter schon gegangene Wege alternativen Wirtschaftens interessiert, dürfte hierfür bei Dohmen das eine oder andere reizvolle Beispiel finden.
Das Buch gliedert sich in insgesamt sieben konkrete Aufgabengebiete, darunter etwa Wohnen, Mobilität, Regieren oder Vergemeinschaften, wobei auf eine Analyse des status quo bereits existierende Alternativen folgen. So darf man hier noch einmal nachlesen, wie viele Tausende Kilometer Bahnnetz seit den 1990ern stillgelegt wurde (ca. 5.000 Kilometer), wie viele der einst ca. 50.000 öffentlichen Wohnungen es noch in Dresden gibt (keine) und wie marode das komplett privatisierte Wassernetzwerk Groß Britanniens ist (sehr marode). Manchmal möchte es einen nur noch schütteln, wenn man liest, mit welcher Nonchalance in den zurückliegenden über 50 Jahren soziale Errungenschaften rückgängig gemacht und Chancen auf ein frühzeitiges Umsteuern verpasst oder verhindert wurden. Hunderte Milliarden Euro Investitionsstau, schwere Beschädigungen der Ökosphäre, Wohnungsnot und, in Deutschland, eine beispiellose Ausweitung des Niedriglohnsektors sind das Resultat dieses wirtschaftlichen und politischen Handelns – keine allzu rosige Ausgangsbasis für eine 180°-Wende.
Die Schatten, die diese neoliberale Vergangenheit wirft, reichen weit. Umso verblüffender (und schöner) sind die Beispiele funktionierender Alternativen, die in ihnen gedeihen. Von genossenschaftlich organisiertem Wohnungsbau, in denen bezahlbarer und sicherer Wohnraum kein Traum bleiben muss, über gemeinwohlorientierte Agrar-Betriebe, in denen ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen, reichen die von Dohmen versammelten „Inseln des Wegweisenden“. Ihnen gemeinsam ist die Verbindung von kollektivem Handeln, Mitbestimmung und Zukunftsfähigkeit: regenerative Ökonomie eben. Besonders reizvoll sind die kurzen Ausführungen zur Idee eines „Circular Valley“, eines zwischen Rhein und Ruhr gelegenen und leider erst noch zu verwirklichenden Kreislaufwirtschaftsverbundes, dem es nicht nur gelingen soll, große Mengen Energie und Ressourcen einzusparen, sondern auch neue Wertschöpfungsketten zu erschließen. Das Potential, das in dem technischen Wissen der dort ansässigen Firmen steckt, ist jedenfalls gigantisch – wird aber mit Blick auf eine Umstellung von linearer auf zirkuläre Wirtschaftsweise noch fast nicht genutzt. Wie lange wir uns diese Ignoranz noch leisten können, wird sich zeigen. Allzu lange wird’s nicht mehr sein.
Dass Dohmen, wie der Titel seines Buches unterstreicht, so viel Nachdruck auf die Verbindung von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit legt, ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass Umwelt- und Klimaschutz oft als Elitenprojekt wahrgenommen wird. Hinter dieser Wahrnehmung mag ein gutes Stück politischer Agenda stehen, Versuche also, ökologische Themen zu diskreditieren und zu delegitimieren. Leider ist es aber tatsächlich so, dass von vor allem staatlich instrumentierten Projekten und Förderungen besonders der wohlhabendere Teil der Gesellschaft profitiert, wie das Beispiel der staatlichen Bezuschussung beim Kauf eines E-Autos, dem sog. Umweltbonus, zeigte. Das ist fatal, wie Dohmen schreibt, denn wer sich als potentieller Verlierer im Transformationsprozess wähnt, wird diesen nicht mittragen – und gegebenenfalls politisch jene unterstützen, die diesen Prozess erst gar nicht in Gang bringen wollen.
Dass die Frage nach der Akzeptanz der sozialökologischen Transformation nicht zuletzt an Fragen der Gerechtigkeit hängen, zeigt die Geschichte. Transformationen haben etwa mit Blick auf die Erfahrungen von Deindustrialisierung in den neuen Bundesländern, aber auch im Kontext des Verschwindens ganzer Wirtschaftszweige (etwa der Montanindustrie im Ruhrgebiet) keinen guten Klang. Und, was gerne übersehen wird: Auch der in den 1970er beginnende neoliberale Umbau der Wirtschaft (Steuern runter für Unternehmen und Reiche, weitgehende Privatisierung zuvor staatlicher Daseinsvorsorge, erhöhter Druck auf Arbeiternehmer und Arbeitslose) war eine Transformation – an deren Ende aber eine enorm ungleiche Verteilung der Vermögen stand. Jenseits der Transformation, das wird deutlich, muss für die Menschen die Möglichkeit eines materiell abgesicherten Lebens stehen, sonst wird sich die Akzeptanz für notwendige Veränderungen in Grenzen halten. Gelingt es staatlichen Institutionen nicht, die Kosten für den gesellschaftlichen Umbau gerecht zu verteilen, zerfällt das Vertrauen der Menschen in diese Institutionen oder umfasst zuletzt das gesamte politische System. Und wer der Demokratie als ganzes nicht mehr traut, findet sich schnell an deren Rändern wieder. Als großer Gewinner hat sich hier die AfD etabliert, für die schon die Rede von einem sozialökologischen Umbau nur ideologisches Gewäsch ist.
Wie ein solcher Umbau bereits im Kleinen gelingt, zeigt Dohmens Buch an mutmachenden Beispielen, und immer wieder werden auch Ideen greifbar, wie ein solcher Umbau auch auf der Ebene des gesamten Staates funktionieren könnte. Eines darf dabei jedoch nicht aus den Augen geraten, wie Dohmen schreibt: „Die Weltgemeinschaft kann nur dann auf friedliche Art und Weise in planetaren Grenzen wirtschaften, wenn es gerecht zugeht.“ Davon sind wir, dem Himmel sei’s geklagt, noch ein gutes Stück entfernt.
Caspar Dohmen: Grün geht nur gerecht. Unterwegs in die sozialökologische Zukunft, Wagenbach Verlag, Berlin 2025, 192 Seiten, 20 €.
© Manuel Förderer